Ventilabo

15. Mai 2018 @ 18:14

Zur Galerie / Zum Text




Image credits: Günter Kresser // Romana Fiechtner, courtesy Gallery KM0

Ventilabo: Heidi Holleis – Wenn Asche neues entfacht

Das lateinische Wort „Ventilabo“ übersetzt sich mit „in der Luft schwingend“ und assoziiert ein Entfachen, Entzünden und Begeistern. „Ventilabo“ wird zur Metapher des Zirkulierens, die das Innere nach außen verkehrt, um im Sinnbild der Asche Vergangenes mit der Gegenwart in die Zukunft zu denken. Der Begriff stellt für Heidi Holleis den Ausgangspunkt der Ausstellung dar und initiiert eine Auseinandersetzung mit ihrer künstlerischen Praxis. Holleis geht damit über ein Verständnis ihrer Malerei als abstrakte, intuitive und sinnliche Praxis hinaus und versucht den Entstehungsprozess der Asche als performativen Akt zwischen Entropie und Chaos fassbar zu machen.

In diesem Sinne steht das Bild „Transfer“ zentral in der Ausstellung, die eine Ascheleinwand seitenverkehrt aufgespannt zeigt und sich die Abstraktion und Bildfindung aus jenen Farb- und Aschespuren lesen lässt, die durch die nicht grundierte Leinwand durchscheinen. Dieses Bild zeigt eine konsequente Weiterentwicklung gegenüber der 20-teiligen Bildserie „Ashes to Ashes“ aus dem Jahr 2011, aus der 5 in der Ausstellung zu sehen sind und bisher signifikant für Holleis Werk standen. Damit erklärt sich weiter, warum das Werk nicht allein auf der Assoziation mit dem Werkstoff Asche zu begründen ist, der hier für Vergänglichkeit, Tod, Demut, Reue, Buße und Trauer steht, aber auch für Hoffnung als Phönix-Motiv des Vogels aus der Asche steigend. Holleis greift das Narrativ der Asche auf, um die Gegenwart des zur Asche gewordenen Objekts im Raum zirkulieren zu lassen und um der Asche damit weiterhin jene dynamische Kraft des oben beschriebenen in den Lüften Schwingens zuzuweisen. Holleis erweitert damit den Begriff der Asche in ihrer symbolischen Wertigkeit, indem sie auf den Ursprung und Entstehungsprozess verweist. Die Asche ist damit eine mit Informationen aufgeladene Leerstelle, die im Sinne einer taoistischen Philosophie ein Aneignen im Loslassen stimuliert. Es ist hier nicht die Destruktion des Materialwerts, wie z. B. die Verletzung der Leinwand, wie es der italienische Minimalist Alberto Burri mit seinen – mit Kunststoff überzogenen – angebrannten Leinwänden vollzog, sondern eine Weiterführung des Begriffs der Asche in einen vibrierenden Materialkörper zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Somit steht Entropie, ein physikalisches Maß zwischen Ordnung und Unordnung, symbolisch für die Asche. Es ist jenes Material, das aus einer geordneten physikalischen Struktur des Ursprungsobjektes im Moment des Verbrennens zur Unordnung und im Leinwandauftrag in eine geordnete Struktur im Sinne des künstlerischen Prozesses zurückfindet. Damit erinnern wir uns an Willi Baumeisters Werk „Das Unbekannte in der Kunst“, der den Handlungsakt künstlerischer Praxis nicht mittels des Künstlers, sondern im Verständnis der Naturprozesse gegenüber der menschlichen Existenz verstand. Das Unbekannte wird damit zum Numinosen, das Holleis hier aufgreift. Das Sinnbild des Schwingens im Ventilabo symbolisieren ebenso die Kreuze der „Poly X“-Serie in der Ausstellung. Zwei von den vormals zur Überzeichnung des Kirchenraums anlässlich eines Kunstprojektes im Innsbrucker Dom an der Flucht der Kirchensäulen in Richtung des Altars angebrachten „Asche-Kreuze“, hängen nun in den Fenstern des Ausstellungsraums und nehmen einen Dialog mit dem Außenraum auf. Sie werden zum zeichenhaften Katalysator der Gegenwart, um die existenzielle Realität unseres Seins zu diskutieren. Wie einst Imi Knoebel, der 1971 im nächtlichen Darmstadt mittels der „Projektion X“ von einem fahrenden Auto heraus ein leuchtendes X auf die Hausfassaden projizierte und diesen Akt in einem Video festhielt. In diesem Sinne werden auch die Schreibmaschinenanschläge auf den Transparentpapier-Collagen „Form of Types“ zu einer rhythmischen Konstante des Vibrierens in der Ausstellung, um jene Endlichkeit des Wortes „Humanoid“ in seiner Bedeutung und Hinterfragung aufzulösen. Mittels der Wiederholung verstärkt sich der Begriff, wie er sich auch gleichzeitig im graphischen Layout auflöst, um wiederum zu dieser schwingenden Dialektik zwischen Anwesenheit und Abwesenheit zurückzufinden, die fortan die Gegenwart der Werke in der Ausstellung einnehmen.

Die Asche wird neben ihrer bildgebenden Kraft zum autonomen Akteur, wie es die Markierung des Außenraums durch die „Poly X“, die Papierarbeiten „Form of Types“ mit ihren Wortketten oder eben auch das Bild „Transfer“ deutlich zeigen. Der performative Akt des Zirkulierens des Materials in seiner Abwesenheit und Präsenz wird zum taktgebenden Rhythmus. Damit schlägt Heidi Holleis ein neues Kapitel in ihrer künstlerischen Praxis auf und verhält sich so, wie es schon Sol LeWitt 1969 formulierte: „Conceptual artists are mystics rather than rationalists. They leap to conclusions that logic cannot reach… Illogical judgements lead to new experiences.“ [1]

(Karin Pernegger)
 


[1] Sol LeWitt, „Sentences on Conceptual Art“, in Lucy R. Lippard, Six Years: The Dematerialization of the Art Object from 1966 to 1972; New York, Praeger, 1973, S. 75