Fantôme Exceptionnel

15. Mai 2018 @ 18:17

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Image credits: Günter Kresser // Katharina Stiglitz // Heidi Holleis

Fantôme Exceptionnel

In ihrer Werkserie „Fantôme Exceptionnel“ untersucht Holleis das Geisterhafte im Zusammenhang mit dem Begriff „Hauntology“. Mit Rückgriff auf Jacques Derrida ist damit die Anwesenheit von Vorstellungen und Gedanken gemeint, die wir quasi als Erbgut aus der Vergangenheit übernehmen und die unsere Gegenwart diktieren. Dieser Spuk des Gestrigen bzw. das Wiedergängertum von alten Ideen findet bei Holleis Ausdruck in der Verwendung von zerschnittenen Modemagazinen oder Internetbildern, die sie mit dem Ruß von Kerzen zu seltsam ephemeren Erscheinungswelten verbindet.

(Sussudio)

Fantôme Exceptionnel: Hauntology

Heidi Holleis bezieht sich in ihrer Werkserie „Fantôme Exceptionnel“ auf den Begriff „Hauntology“, der in letzter Zeit speziell in der elektronischen Musik aufgepoppt ist. Zurück geht der Begriff auf Jacques Derrida, der damit gewissermaßen eine Kulturdiagnose formuliert hat, die besagt, dass Europa von seinen Geistern besessen sei. Theorien, Ideen und Ideologien, die auch vermeintlich passé waren, suchen das europäische Mindset heim und prägen es nach wie vor. Derrida hatte insbesondere die Theorien von Karl Marx im Sinne, die nach dem Ende des Kalten Kriegs als gescheitert galten und trotzdem weiter ihre Gültigkeit und Anziehungskraft – seit der letzten Finanzkrise sogar außerordentlich – im europäischen Denken haben. Der kürzlich verstorbene Mark Fisher dachte den Begriff weiter, bezog ihn auf populärmusikalische Phänomene und diagnostizierte warnend ein Abdriften in einen reinen Nostalgie-Modus (Fredric Jameson), in dem man durch Vergangenheitseinkuschelung kein spezifisches Bild der Gegenwart mehr zeichnen kann. Das nämlich würde bedeuten, die Geschichte als eine Abfolge von signifikanten Phänomenen, also Geschichte mit einem dialektischen Zukunftsversprechen, hätte ein Ende – und somit Geschichte selbst, wie sie bisher gedacht wurde.

Heidi Holleis verwendet in ihren kleinformatigen Collagen als Werkstoffe Bilder von Fotoshootings aus Mode- und Lifestylemagazinen im Vintagelook – also Geister der Modebranche – und Ruß von brennenden Kerzen, die das ephemer Schwebende und somit Ankerlose von „Hauntology“ ausdrücken. Die Arbeiten wirken leicht, zu leicht; ihre vermeintlich nebulöse Nichtigkeit wird schwerer, je länger man sie betrachtet. Entsubstantialisierte Anordnungen, die dementsprechend Fleischlichkeit abstrahieren, erzwingen ihre Präsenz genau dadurch. „Das Kapital ist auf allen Ebenen ein gespenstisches Ding: aus dem Nichts hervorgezaubert, übt das Kapital dennoch mehr Einfluss aus als jedes andere vermeintlich substantielle Wesen.“ 1

(René Nuderscher)

Phantom Force

„Ich fürchte mich nicht vor Geistern, sondern eher vor Menschen, die sich vor Geistern fürchten.“
(Heidi Holleis)

An den Grenzen der Sprache verwischen Tatsachen, es verwischen einst klar erkenntliche Bilder. Es wird zweifelhaft, surreal, unglaubhaft, vielleicht sogar unheimlich. An den Grenzen der Sprache sind es Bilder, die sich wie Geister aus einer Vergangenheit, aber doch zeitgemäß und alltäglich in unsere Gegenwart eingraben, durch kognitive Prozesse bilden und unsere sprachlichen und symbolischen Grenzen aufzeigen.
Der 7. Satz aus Wittgensteins „Tractatus Logico-Philosophicus“, der längst schon in den Volksmund eingegangen ist, lautet: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen“. Hier hat Wittgenstein eine Grenze gezogen; die der Sprache. Wir könnten schweigen, aber können das auch unsere unbewussten Affekte, die immer neue Bilder und, bei entsprechender Wahrnehmung, geisterhafte Gebilde clustern?
Der Surrealismus – dem der Dadaismus den Weg bahnte und der, aus einem der unzähligen Blickwinkel (wieder einer Deutung von Zeichen) betrachtet, eine Rückkehr zur bürgerlichen Liebe zum Mystizismus symbolisiert – kehrt, wie der Dadaismus auch, ein Inneres nach Außen, um in einem Schauraum der Symbole und Zeichen einen durchaus verwirrenden Blick auf menschliche Affekte freizulegen. Der Dadaismus war hier in seiner Destruktion und der Arbeit mit Versatzstücken und Fragmenten wesentlich klarer, pragmatischer und so exoterischer, was im Umkehrschluss die Frage erlaubt, ob das Schnöde am Surrealismus nicht doch in einem Mystizismus liegt.

Grundsätzlich ließe sich sagen, dass ein Zeichen (für sich alleine) keinen Sinn ergeben kann, weil für Sinnhaftigkeit ein Bewusstsein benötigt wird, ein kognitives System, das den Zeichen Bedeutung beimisst, oder wie der Pragmatiker Charles S. Peirce gesagt hätte: Um überhaupt ein Zeichen zu sein, muss es in eine Drittheit (Thirdness) gehoben werden, in eine Dimension des Deutens. Neben (1) Etwas, das für (2) etwas anderes steht. Es benötigt einen Sinnesapparat, um Bedeutungen zu generieren, wenn sie dann auch einen Sinn ergeben sollen. Der Sinn von Symbolen oder Zeichen kann in einem Wahrnehmungsapparat durchaus ganz neu entstehen, aber erst dann, wenn auf eine Sammlung von Bedeutungen zurückgegriffen werden kann, anhand derer eine Deutung erst möglich wird, quasi eine Anthologie von Drittheiten. Diese übernommenen Bedeutungen, die sich im Verlauf der Zeit auch konnotativ verändern, bilden die memetische, also kulturelle Grundlage für die Deutbarkeit von Bildern, Zeichen und Symbolen. So deuten wir heutige Erscheinungen mit Deutungsmitteln und einem Wissen von gestern und beschreiben Geister, die z. B. der Konsum generiert, mit Deutungs- und Beschreibungsmustern aus einer Zeit, in der Denken in Symbolen praktiziert wurde und weniger in Bedeutungen. Bei animistischen Kulturen wird das Dubiose als unerklärt Bleibendes hingenommen und Dinge und Gegenstände gelten als beseelt, weil einfach alles als beseelt gilt. Heidi Holleis’ Geister könnten keine neuen Wesen sein, sondern durchaus welche, die in einem anderen Kulturkreis (etwa dem thailändischen) schon seit Jahrtausenden bekannt sind und denen schon die einen oder anderen Tempel gewidmet sein könnten.
Vielleicht liegt gerade deshalb ein dadaistisches Schnipsel aus einem Modemagazin auf dem surrealen Ruß; weil das Zeitgemäße, ohne eine Projektionsfläche oder ohne den Hintergrund des Unzeitgemäßen, in unserem Wahrnehmungsapparat keinen Sinn ergeben würde und somit der Unsinn zur Sinnlosigkeit werden und zur Annahme verleiten würde, dass in Wahrheit erst das Nichtvorhandensein von Sinn Angst produziert. So gesehen ist es dann der pragmatische Prozess, der dabei hilft, Zeichen in eine Thirdness zu hieven, damit Etwas überhaupt Sinn machen kann.

(Christian Stefaner-Schmid)
 


1 Mark Fisher, Das Seltsame und das Gespenstische, Berlin, Verlag Klaus Bittermann, 2017, S. 11