Image credits: Günter Kresser // Heidi Holleis
Antigone
Der Philosoph Marcus Steinweg beschrieb die Figur der Antigone des griechischen Dichters Sophokles als ein junges Mädchen, einen Teenager, deren Spiel kaum facettenreicher sein könnte. Es ist leicht und auch bestimmt, unschuldig und brutal, riskant und verspielt. Die Tiefe ihrer Wut, die genauso als Akt der Liebe und des Wahnsinns gedeutet werden kann, bleibt verwirrend.[1]
Die Künstlerin Heidi Holleis spielt in ihrer Arbeit mit ebendiesem Facettenreichtum. Auf den ersten Blick erinnert das Gesamtkonzept ihrer Arbeit „ANTIGONE“ an ein verspieltes Mädchenzimmer, das erst bei genauerem Hinblick eine mutige und fast schon infame Charakteristik offenbart, die auch auf die literarische Figur zutrifft. Die rosa Patronenhülsen betonen dezidiert den weiblichen Aspekt der griechischen Tragödie, in der sich die Protagonistin dem Befehl des Herrschers Kreon widersetzt und ihren gefallenen Bruder bestattet, um ihm ein Weiterleben im Hades zu ermöglichen.
Komplettiert wird die Arbeit von Tuschezeichnungen, deren figürliche Darstellungen sich nicht nur in das Motiv des Mädchenzimmers einfügen, sondern Antigone erneut in einem zeitgenössischen Kontext zeigen. Das Anagramm „ANTI–ONE“, die Einzige die sich widersetzt, sowie ein Bild eines bewaffneten Fauns, dessen androgynes Äußeres beispielsweise auch eine_n gefallene_n Krieger_in verkörpern könnte, lassen nicht nur unzählige Interpretationsmöglichkeiten offen, sondern illustrieren zugleich die zahlreichen Gesichter antigoneischen[2] Verhaltens.
Das Material Tusche wird traditionell aus Ruß gewonnen und lehnt sich somit an Asche an, die bereits in älteren Werken der Künstlerin eine tragende Rolle spielte. Vervollständigt wird die Installation im Innenraum durch eine auf dem Dach der Ausstellungsfläche montierte, aus Aluminium gefertigte Skulptur in Form eines pinken Scharfschützengewehres. Denn wie Antigone, kann auch Kunst eine Widerstandsbewegung sein, die in den Wirklichkeiten des Sozialen, des Politischen und der unterschiedlichen Ideologien der Zeit handelt.[3]
(Bettina Siegele)
Nachtrag: Missing Antigone
Die Installation „ANTIGONE“ von Heidi Holleis wurde erstmalig im September/Oktober 2018 für die Ausstellung „NOT“ der „youngCaritas“ angefertigt. Ausstellungsraum war ein temporär errichteter blauer Baucontainer am Eduard-Wallnöfer-Platz seitlich des Amtshauses der Tiroler Landesregierung. „ANTIGONE“ setzte sich aus einer Rauminstallation im Inneren des Containers sowie einer Skulptur am Dach zusammen. Bei der Skulptur handelte es sich um ein nicht funktionsfähiges, pinkfarbenes Scharfschützengewehr aus Aluminiumguss, welches auf das Tiroler Regierungsgebäude gerichtet war. Die Künstlerin warf damit Fragen über Krieg, Fake News und über das Aufeinanderprallen von familiär-strukturellen Ordnungen mit Staatsgesetzen auf. Weiters ging es um die Frage: „Wie weit darf die/der Einzelne in einer Demokratie gehen, wenn der Staat sich als unfähig zur Problemlösung herausstellt?“ Insofern stand die Skulptur „ANTIGONE“ als ein Icon des Widerstandes auf dem Dach des Containers. Rund eine Woche nach der Eröffnung wurde sie von bisher Unbekannten entwendet.
(Heidi Holleis)
[1] Steinweg, Marcus (2002)‚ Die Philosophie und das Mädchen, artmap. Online: https://artmap.com/marcussteinweg/text/die-philosophie-und-das-ma-dchen- (aufgerufen am 20.08.2018)
[2]Das Antigoneische Subjekt ist ein über sich hinaus beschleunigendes Subjekt seiner Atemlosigkeit, präziser Selbstübertreibung und Kopflosigkeit. – Steinweg, Marcus (2007)‚ Das antigoneische Subjekt, Steirischer Herbst. Online: http://archiv.steirischerherbst.at/deutsch/Archiv/Jahre/steirischer-herbst-2007/Open-Ups-2007/Das-Antigoneische-Subjekt-3596 (aufgerufen am 20.08.2018)
[3] Steinweg, Marcus (2002)‚ Die Philosophie und das Mädchen, artmap. Online: https://artmap.com/marcussteinweg/text/die-philosophie-und-das-ma-dchen- (aufgerufen am 20.08.2018)