Image credits: Günter Kresser // Christian Vorhofer // Ausstellungsansicht „set in motion“, 2016, in Verbindlichkeit mit den Künstlerinnen und Künstlern und Kunstraum Innsbruck
Acceleration
Als Artefakt ist ein Kunstwerk nicht nur ein Agglomerat von Eigenschaften, sondern zugleich Träger wechselseitiger Beziehungen: Es gibt ein äußeres Erscheinungsbild und zugleich eine verborgene Dimension, einen Außen- und Innenbereich, ein Zusammenspiel von sichtbaren und unsichtbaren Elementen, von gegenständlicher Beschaffenheit und Narrativ. Das Werk ist zugleich Chiffre seiner selbst.
Nun ergibt sich die Frage, worin das narrative Moment in der malerischen wie zeichnerischen Serie „Acceleration“ ausfindig zu machen ist. Die Antwort liegt in der Künstlerin selbst. Wer Heidi Holleis kennt oder sich auch nur oberflächlich mit ihren Arbeiten beschäftigt hat, wird alsbald feststellen, dass ein Konnex zwischen ihren Werken und ihrem persönlichen Interesse für Philosophie (aber auch Kulturtheorie und Literatur) besteht. Wie der Kunsthistoriker Markus Neuwirth in seinem Text „Holleis – Ikonologie der Asche“ richtig feststellt, kann die Serie „Acceleration“ „als abstrakte Einführung […], in welcher der Pinsel und, in Konsequenz, die Form an Geschwindigkeit gewinnen“ [1], gelesen werden, doch in diesem konkreten Fall liegt die Technik, also die künstlerische Praxis, in einem Theorem begründet. Die Vermeidung des Begriffes „Theorie“ ist in diesem Zusammenhang gewollt, weil der Begriff des Theorems die Elemente der Anschauung und Untersuchung mitberücksichtigt und eben nicht nur das Moment des Lehrsatzes bzw. der Theorienbildung. Anhand von Diskussionen mit philosophisch versierten Freunden, aber auch der Lektüre und dem Selbststudium, saugt Heidi Holleis regelrecht Wissen auf und wandelt dieses in einem künstlerischen Akt um.
Nicht nur der Gestus, sondern auch die Materialien von Asche und Kohle spielen in diesem Zusammenhang eine nicht unbedeutende Rolle und sind zugleich ein weiterer Verweis auf die Philosophie des „Akzelerationismus“. Ein wesentlicher Punkt dieser philosophischen Strömung besagt, dass der Kapitalismus durch jene Mittel, mit denen er operiert, überwunden werden muss bzw. kann, d. h., dass Erneuerung nur dann vollzogen werden kann, wenn das Gegebene (beschleunigt) ausgeschöpft wird. Verhält es sich nicht ähnlich mit den Materialien, die Heidi Holleis in ihrer Malerei verwendet? Der Kohle und Asche geht ein Zersetzungsprozess und Energieaufwand voraus: Holz muss verbrannt werden, damit daraus Kohle und Asche entsteht.
Als neuere politische Theorie geht es dem Akzelerationismus wie gesagt um die Frage nach der Überwindung der kapitalistischen Ordnung. Pointiert formuliert haben AkzelerationistInnen ein etwas gestörtes Verhältnis zum Kapitalismus. Dieser wird zwar als das zu überwindende Gesellschaftssystem angesehen, doch er ist zugleich nicht der Inbegriff von allem Bösen. Demnach lautet die Devise nicht „Smash Capitalism“ und damit basta, sondern vielmehr „Smash Capitalism through Capitalism“ oder – um es im Sinne des Akzelerationismus zu sagen –, bedienen wir uns neuer kapitalistischer Entwicklungen und technischen Errungenschaften, um die Zerstörung des Systems schneller hervorzubringen.
Die in diesem Textfeld vorkommenden und zu einem Gefüge generierten Worte sind als Additiv zu den Arbeiten „Acceleration“ zu handhaben und möchten deshalb im Sinne eines gedanklichen Ergusses gelesen werden. Ohne längeres Überlegen, ob das Geschriebene einen Sinn ergibt oder weniger, tippt der Verfasser auf die Tastatur und sein Blick schweift etwas ungewiss in die sich voranschreitende Textur. Die Bewegungen der Finger erzeugen den Beat.
Sich die Geschwindigkeit zu eigen machen!
accelerare, beschleunigen, beeilen, befördern, fördern, herbeieilen, sich eilen
Den Müßiggang als Apostasie und Flüchtigkeit handhaben
Kein Innehalten – niemals!
Den Gedanken ins digitale Bild fassen
Technik zur Taktik werden lassen
Nicht den Pinsel, sondern Worte und, in letzter Konsequenz, den Textfluss beschleunigen
Bis hin zur völligen ERSCHÖPFUNG.
(Marco Russo)
[1] Markus Neuwirth, Katalog: Heidi Holleis Ashes to Ashes, Verlag: Kunstraum Innsbruck, 2015, Holleis – Ikonologie der Asche, Seite 10