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The Ghost Is Me

18. März 2019 @ 20:29

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Image & Video credits: Günter Richard Wett // Heidi Holleis // Dino Bossnini

THE GHOST IS ME

In der Ausstellung „The Ghost Is Me“ legte Heidi Holleis ihr Augenmerk auf das Themenfeld „Hauntology“. Das Wort „Hauntology“ wurde vom französischen Philosophen Jacques Derrida erfunden und im Buch „Spectres de Marx: L’état de la dette, le travail du deuil et la nouvelle Internationale“ (dt. „Marx’ Gespenster – Der verschuldete Staat, die Trauerarbeit und die neue Internationale“, Suhrkamp 2003) 1993 entfaltet. Derridas Buch entstand als Replik zu Francis Fukuyamas kontroversem Werk „The End of History and the Last Man“ (dt. „Das Ende der Geschichte – Wo stehen wir?“, Kindler 1992), in welchem der liberale Denker den Triumphzug des Kapitalismus nach dem Fall der Sowjetunion als Vollendung der Geschichte im Sinne Hegels interpretiert. Für Derrida gilt, dass Theorien, Anschauungen und Ideologien trotz ihres Scheiterns nach wie vor in der Gegenwart präsent sind und diese aus der Landkarte des Denkens nicht auszulöschen sind. In Derridas konkretem Fall geht es um den Marxismus, der wie ein Geist aus der Vergangenheit die Gegenwart heimsucht. Daraus lässt sich das Wort „Hauntology“ bestimmen: to haunt = jagen, spuken, verfolgen; ontology = Ontologie, Lehre des Seienden. Mit anderen Worten: Etwas aus der Vergangenheit sucht das Seiende auf und dieses Seiende ist, metaphysisch gesprochen, im Modus des Gegenwärtigen an das jeweilige Hier und Jetzt gebunden.

In der Poptheorie und Popkultur des frühen 21. Jahrhunderts erfährt der Begriff „Hauntology“ vor allem durch die Schriften von Mark Fisher (k-punk) eine neue Konnotation. Der englische Philosoph und Medientheoretiker übernimmt Derridas politisch gefärbten Begriff und weitet diesen auf soziokultureller Ebene aus. Für Mark Fisher ist Hauntology der Inbegriff des Zeitgeistes des kürzlich angebrochenen 21. Jahrhunderts. Diese Zeit ist von einer radikalen Depression geprägt; in der Gegenwart schwingen die Geister der Vergangenheit mit und die Gesellschaft ist gewissermaßen unfähig, Neues hervorzubringen und steht in der permanenten Wiederholung ihrer selbst gefangen. Diese Situation äußert sich vor allem im Umgang mit den neuen Medien: So ermöglicht beispielsweise YouTube das in die Gegenwart Hereinholen von Sendungen aus den 1980er-Jahren, auf die voller Wehmut und Nostalgie geschaut wird.

In „The Ghost Is Me” setzte Heidi Holleis den theoretischen Überbau des Hauntology in ein Raumkonzept um, wobei die Anspielung auf die 1980er-Jahre einen zentralen Stellenwert einnahm.

In der Mitte des Raumes hing von der Decke herabflatternd und nicht den Boden berührend ein 5 Meter langes, zweiteiliges Tuch. Dadurch sollte auf das Element des Gespenstischen verwiesen werden, denn die Installation „Super Ego“ („Über-Ich“) war die Inszenierung einer nicht greifbaren Erscheinung, die sich plötzlich im Raum materialisierte. Die bronzefarbigen, metallisch glänzenden Stoffbahnen, die an alte Zaubershows erinnerten, wurden durch ein familiäres, allerdings nicht sofort identifizierbares Geräusch umrahmt.

An den Wänden hingen graue Vorhänge, hinter denen sich Türen verbargen, die allerdings für die BesucherInnen nicht sichtbar waren. Diese aus Theaterkulissenstoff hergestellten Vorhänge dämpften die Geräusche im Raum, sodass das akustisch Erfahrbare im Fokus des Raumes verstärkt wurde. Auch hier ging es um eine weitere Anspielung auf das Gespenstische, das auf eine gewisse Art und Weise auch eine Schwelle zwischen dem Hier und Dort, zwischen Zeit und Raum darstellt.

Der gesamten Ausstellung wohnte eine eigene Farbkonzeption inne: eine jede Farbe und deren Farbtöne waren aufeinander abgestimmt. Auch der Boden war speziell auf die Arbeiten hin grau gestrichen und abgestimmt worden. Heidi Holleis benutzte hier erdige, dunkle bis metallische, weißlich bis transparente Farben, teils mit opakem Schimmer. Dadurch sollte nochmals das Geisterhafte und Mysteriöse evoziert werden: ein Verweis auf das Neblige und, in Kombination mit dem konstanten Klang im Ausstellungsraum, auf etwas Maschinelles, konstant Schwellendes.

Die einzelnen Grafiken der Ausstellung spielten geradewegs mit diesem Element des Aus-der-Vergangenheit-Kommenden: ein Telefon, eine Sonnenbrille oder ein Monchhichi, ja sogar Röntgenbilder, die eine einst dagewesene körperliche Fragilität einer jederfrau und jedermanns Körper offenbaren, der durch die Zeit mitgetragen wurde; die Bilder beschreiben somit eine seit Anbeginn der Geburt permanent auf den Tod hin ausgerichtete Vitalität. Die Frage, die letztendlich bleibt, ist jene, ob nicht wir, mit und in unseren Körpern und Erinnerungen, die eigentlichen, in die Gegenwart spukenden Gespenster unserer selbst sind.

Die Röntgenbilder sind zufällige Fundmaterialien aus Heidi Holleis Elternhaus, die verstaubt auf einem alten Kasten im Dachboden gefunden wurden. Es sind Bilder von Lungen und dem Genick, die in den Grafiken waagrecht oder in seitenverkehrte Position gedreht sind.

Die gesamte Raumsituation ließ an einen Dachboden erinnern: vergessene Stücke, die Geschichten erzählen. Demgegenüber wurde das Moment des Anonymen gestellt: Bei zwei Grafik-Exponaten ist das Motiv ein Fundstück vom Flohmarkt. Eines davon zeigt die gefundene Gipsbüste, deren Gesichtshälfte in der Frontalen sich auf einer Seite aufzulösen beginnt und verschwindet („Radical Change“), auf dem anderen ist nochmals dieselbe Gipsfigur zu sehen, die sich Pop-Art-mäßig kleinformatig wiederholt und somit selbst loopt („Loop. Loop the Loop“). Alle Aluminiumrahmen der Grafiken sind zudem bewusst Retro-80er-stilisiert.

Eröffnet wurde die Ausstellung „The Ghost Is Me“ mit einem DJ-Set von Marco Russo (Das Russolophon), bei dem Hauntology-Musik aufgetischt wurde (Zeitgenössische Produktionen mit retrospektivem Charakter).

Die Finissage wurde mit einer Séance-Sitzung gestaltet, an der sich mehrere Personen an einem dreibeinigen Tisch sitzend mit der Anrufung des Geistes von Karl Marx befassten und fragten, wo und wann die Weltrevolution starten würde.

Im Anschluss daran wurde eine musikalische Performance von Hoolshopper (René Nuderscher) zur Aufführung gebracht. Auch hier waren die Klänge, Licht- und Nebeleffekte auf die Quintessenz der Ausstellung abgestimmt: ein kompaktes Licht aus weiter Ferne mit nervösem Unterton.

(Marco Russo)


Weiterführende Links:

Hoolshopper

The Ghost is me Playlist

Monomono, Cypher Pt. I/Pt II