Image credits: Günter Kresser // Natalie Pedevilla, Kulturamt Innsbruck // Helmut Agostini // Christian Vorhofer // Ausstellungsansicht „set in motion“, 2016, in Verbindlichkeit mit den Künstlerinnen und Künstlern und Kunstraum Innsbruck, Austria
ASHES TO ASHES
Die Malereien von Heidi Holleis aus der Werkgruppe „Ashes to Ashes“ entwickeln ihre lyrische, existenzialistische Atmosphäre und Denkbewegung aus der Stofflichkeit und Materialität einer der zentralen Substanzen, mit denen sich die Künstlerin auseinandersetzt: der Asche – und verwandter Elemente wie Kohle, Ruß und Rauch. Holleis’ Bilder entstehen aus einem ganzheitlichen Prozess, der mit experimentellen Verbrennungen verschiedener Holzarten und anderer Materialien zur Herstellung der Asche- und Rußpigmente beginnt. Die Verbrennung bedeutet nicht nur stofflich, sondern auch symbolisch einen Akt der Auflösung und der Wandlung, des Übergangs von einem organischen Körper in eine anorganische, mineralische Grundsubstanz. Die Gemälde mit ihren ineinander zerfließenden Abstraktionen, in Grau-, Beige- und Brauntönen, teils hauchzart, teils kraftvoll übereinandergeschichtet, lassen diese Wandlung spürbar werden: Die Bilder sind die Reflexion eines Ereignisses, in dem etwas grundlegend seine stoffliche Form verliert, ein Ausdruck von Verausgabungs- und Auflösungsprozessen, deren subversive existenzielle Funktion der französische Schriftsteller und Philosoph Georges Bataille mit dem Begriff „l’informe“ („das Formlose“) fasste. Zugleich manifestiert sich in ihnen ein Wille, diese Vorgänge auch als etwas Schöpferisches zu betrachten und festzuhalten. Zufällige, entropische Zustände des Zerfließens und der Widerständigkeit der Asche-, Ruß- und Kohlepartikel, die sich partiell mit der rohen Leinwand verbinden, verschmelzen mit den Spuren der Künstlerin, die sich durch das Material hindurch in das Bild hineinzuarbeiten scheint. Die Werke lassen sich aus dieser Perspektive als Metaphern für den Versuch lesen, die Prozesse der Auflösung und Wandlung zu fassen und sich in ihnen einzuschreiben.
(Aus dem Katalog Inventur, Jürgen Tabor)
Holleis – Ikonologie der Asche
Tragik
Das ist das Schwerste: sich verschenken
und wissen, daß man überflüssig ist,
sich ganz zu geben und zu denken,
daß man wie Rauch ins Nichts verfließt.
23.12.1941
(Selma Meerbaum-Eisinger 1924-1942)1
Jede Farbe ist das Ergebnis eines mehr oder weniger komplizierten Herstellungsverfahrens. Der Asche als Mittel im Bild haftet jedoch eine besondere Aura an. Als Ergebnis eines Brennvorgangs lässt sie sich ohne Bezug auf das Feuer nicht abhandeln. Es wird mitgedacht und mitinterpretiert.2 Der Faktor Zeit, das „Davor“, kann, soll und darf nicht losgelöst werden.3 Das Feuer reinigt und vernichtet in einem. Ihm eignen die Energie, die Kraft und die Potenz zur Veränderung. Bis zur Aufklärung firmierte es als eines von vier Elementen, neben Wasser, Erde und Luft.4 Die Angst vor dem Feuer und die Freude am Feuer schlagen unweigerlich in den ambivalenten Bedeutungsgehalt der Asche um. Gaston Bachelard legte 1937 in seiner „Psychoanalyse des Feuers“ seinen Finger auf diese dauerschwärende Wunde in der Kulturgeschichte der Menschheit: „Was … der Idee des Feuers als reinigender Kraft entgegensteht, ist die Tatsache, daß das Feuer Asche hinterläßt“.5 Knapp davor hat der Wiener Wolfgang Paalen (1905–1959) 1936 im Kontakt mit den Surrealisten in Paris die „Fumage“, das systemische Versengen des Bildträgers in die Kunstgeschichte eingebracht.6 Zwischen 1937 und 1939 versandte Antonin Artaud (1896–1948) mit Feuer bearbeitete Briefzeichnungen.7 Yves Klein (1928–1962) nahm den Faden 1960/61 mit seinen „Feueranthropometrien“ wieder auf. Nackte Frauen hinterließen nasse Abdrücke auf Kartons, die anschließend mit Flammenwerfer bearbeitet wurden und auf diese Art schablonenartig Spuren verzeichneten. Die bedeutenden Schritte im 20. Jh. sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Feuer und Rauch von bildenden Künstlern im Barock häufig dramatisch und strategisch bei wichtigen, meist dynastischen Festen eingesetzt worden sind.8 Der Innsbrucker Johann Paul Schor (1615–1674) wurde durch gewaltige Inszenierungen in Rom berühmt,9 in denen er mit ephemerer Architektur, Skulpturen aus leichtem Material und heftigen Feuerwerken, etwa an der Spanischen Treppe anlässlich der Geburt des Dauphins 1662, politische Symbolwelten in Gang setzte.10 Die feierliche Materialvernichtung spiegelt das Eliminieren von Existenz, auf dem sich Neues erheben kann. Religionen greifen auf diese Grundwirklichkeit zurück. Das Christentum und insbesondere das katholische nimmt die Asche zum Paradigma der Vergänglichkeit, zum Paradigma der Stofflichkeit, der Nichtigkeit des Leibes gegenüber Geist und Seele: Staub zu Staub – der Tod. Künstler mussten oft die feierliche Aufbarung, das „castrum doloris“, inszenieren.
In mehreren Serien – „Ashes to Ashes“ ist programmatisch eine davon – greift Heidi Holleis in die Aschenkiste, um das Zeugnis der Hitze, den ultimativen Rest einer Wandlung auf Leinwänden mit Eitempera wiederauferstehen zu lassen. Das gestaltende Ich schiebt sich dazwischen. Asche auf dem hellen Bildträger mutiert zu einer Auseinandersetzung von vernichteter Substanz mit der positiven, thematischen Gestaltung auf hellem Grund. Penibel tastet sich die Künstlerin in der Stofflichkeit voran und experimentiert mit der Verbrennung unterschiedlicher Hölzer, die jeweils andere Restmengen aufweisen. Die Asche der Buche erhält eine zarte Nuance an Rot–Braun, jene der Fichte ein Grau, jene der Kastanie wiederum weitere Grauwerte. Die Griffigkeit ist mal spröde, mal klebrig, mal fett.
Was totgeglaubt gewinnt an Leben. Getrost dürfen kleinere Brocken an Kohle Zeugnis von der Tat abgeben. Die Kategorie der Plötzlichkeit in der Pinselführung überwindet die zähe, gebundene Materie und findet rasch zu besonderen Leitmotiven. Im Werkprozess befreit sich die Künstlerin von ihnen. Die Spanne der Sujets reicht dabei von der abstrakten Einfühlung etwa mit der Serie „Acceleration“, in welcher der Pinsel und in Konsequenz die Formen an Geschwindigkeit gewinnen, bis zur beinahe gegenständlichen Reihe „Motherland“, in der zwei Rundungen assoziativ das lateinische „mama“, die weibliche Brust, evoziert. Die femininen Formen aus Brandspuren geraten zur melancholischen und zugleich vitalen Abrechnung mit dem weiblichen Selbst. Das Ergebnis bleibt aber offen. Das Dunkel der Asche, aus dem sich schwerlich konkretere Details herauslösen lassen, verbürgt einen ernsten Ton im Konzert der Formen.
Bewusst agiert Holleis mit der Mehrdeutigkeit von Strukturen. Ein Titel wie „Poly X“ signalisiert: Es gibt nicht nur einen Fokus der Interpretation. Mit der Installation von acht X im Innsbrucker Dom zur Fastenzeit 2015 werden einige architektonische Angelpunkte im Sakralraum markiert. Letztlich kommt kein Mensch um die Frage herum, ob ein X den Verweis auf ein Andreaskreuz bedeutet oder nicht, ob ein Kreuz den Verweis auf das Hl. Kreuz Jesu, bei dem das Christentum keinen Spielraum kennen kann, bedeutet oder nicht. Wir landen unweigerlich beim lapidaren Faktum, dass zwei Balken, auf einem Punkt überlagert, ein Kreuz ergeben. Alles andere ist Projektion des Menschen, dessen religiöser Tiefgang zu wahren ist.11
Das Drehen und Wenden von Bedeutung gerät zum Generalbass des Schaffens. In den „Landscapes“ ziehen Wolkenformationen am unteren Rand der Bilder einher. Lediglich die Signatur, mithin das Ego der Gestalterin, erscheint als Garant von „Oben“ und „Unten“. Eine brüchige Garantie. Eine Beschriftung muss keineswegs an der unteren Kante liegen. Damit erzeugt Holleis ein labiles Gleichgewicht der Beobachtung, dem sich die Betrachterinnen und Betrachter zu unterwerfen haben. Das Spiel der Perzeption beginnt zu greifen. Die Asche bleibt das Medium.
Das Material erzeugt auf der Leinwand per se einen scharfen Kontrast: Schwarz auf Weiß. Die Zen–Malerei, von Mönchen meditativ geübt, lebt aus der Reduktion. Sie besteht aus Tusche, die aus Ruß gefertigt und auf Papier aufgetragen wird. Die Nichtigkeit der weltlichen Erscheinungen soll auch in der Kunst zum Tragen kommen. Man muss nicht unbedingt einen kulturellen Brückenschlag erzeugen. Aber den Bildträger in ein Hell und ein Dunkel aufzuspalten und ihn zwischen den Polen mal opak-dicht, mal fein lasierend, durchscheinend, aufleben zu lassen, darf als menschliche Grundhaltung aufgefasst werden. Blickt man auf den künstlerischen Werdegang von Heidi Holleis, so ist der schrittweise, kontrollierte, gewollte und strategische Verlust der Farbe, mit der sie offensichtlich mit großer Lust und Freude gemalt hat, spannend und bemerkenswert. Ein Statement im besten Sinne. Bereits im Jahr 2000 hatte sie mit Weiß und Schwarz auf durchsichtigem Grund, mit diffundierenden Zonen experimentiert.12 Der Weg zur symbolhaften Interaktion ist geebnet: Künstlerin – Feuer – Asche – Leinwand – Bewegung – Künstlerin – Kunstwerk – Asche.
(Markus Neuwirth)
[1] Selma Meerbaum-Eisinger: Blütenlese. Gedichte. Herausgegeben von Markus May. Stuttgart 2013, 105.
[2] Symptomatisch der Verweis „Asche – Feuer – Holz – Papier“ in: Monika Wagner, Dietmar Rübel und Sebastian Hackenschmidt (Hg.): Lexikon des künstlerischen Materials. Werkstoffe der modernen Kunst von Abfall bis Zinn. München 2002, 23.
[3] Kat. Ausst. Brandspuren. Das Element Feuer in der neueren Skulptur. Museum Folkwang Essen 1991; Draxler Helmut: Das brennende Bild. Eine Kulturgeschichte des Feuers in der neueren Kunst. In: Kunstforum International. Bd. 87. 1987, 70–228.
[4] Gernot Böhme, Hartmut Böhme: Feuer, Wasser, Erde, Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente. München 1996.
[5] Gaston Bachelard: Psychoanalyse des Feuers. München–Wien 1985, 137.
[6] Andreas Neufert: Auf Liebe und Tod. Das Leben des Surrealisten Wolfgang Paalen. Berlin 2015; ders.: Wolfgang Paalen. Im Inneren des Wals. Wien und New York 1999; Dieter Schrage (Hg.): Wolfgang Paalen. Zwischen Surrealismus und Abstraktion. Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien. Klagenfurt 1993.
[7] Monika Wagner: Materialvernichtung als künstlerische Schöpfung. In: Andreas Haus/ Franck Hofmann/ Änne Söll (Hg.): Material im Prozess. Strategien ästhetischer Produktivität. Berlin 2000, 109–121.
[8] Karl Möseneder: Feuerwerke. In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte. Bd. 8. München 1987. Sp. 530–607; Karl–August Wirth: Feuersäule. In: ebenda, Sp. 422–498.
[9] Markus Neuwirth: Tirol als >Templum Salomonis<. Das Umfeld des jungen Johann Paul Schor und die Nachwirkungen in Rom. In: Christina Strunck (Hg.), Ein Regisseur des barocken Welttheaters. Johann Paul Schor und die internationale Sprache des Barock (Römische Studien der Bibliotheca Hertziana [Max-Planck-Gesellschaft], Bd. 21), München 2008, 31–72.
[10] Markus Neuwirth: Primogenitur. Römische Inszenierungen des Dynastischen bei Johann Paul Schor und Gianlorenzo Bernini. In: Lukas Madersbacher/ Thomas Steppan (Hg.): De re artificiosa. Festschrift für Paul von Naredi–Rainer zu seinem 60. Geburtstag. Regensburg 2010, 323–344.
[11] Markus Neuwirth: Crux. Das Symbol des Kreuzes im zeitgenössischen Diskurs. In: Kat. Ausst. Crux. Das Symbol des Kreuzes/ Il simbolo della croce. Kurator/ A cura di Markus Neuwirth. Hofburg Brixen 3.8.–31.10. 2013. 36–49; vgl. weiters Kat. Ausst. Infinito presente. Elogio della relazione. A cura di Andrea Dall’Asta S.J., Domenica Primerano, Riccarda Turrina. Museo Diocesano Tridentino 23. Juni – 10. November 2014. Trient 2014, dort vor allem die mehrschichtige Arbeit Matteo Ricci aus dem Jahr 2010 von Hidetoshi Nagasawa, 44–45.